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130. Gemeindebrief zum 15.01.2023

Für wen gehst du?

Eine der schönsten Geschichten, die der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber gesammelt hat, erzählt eine denkwürdige Begegnung des Rabbi Naftali aus Ropschitz.
In dieser Stadt beauftragten die Reichen, deren Häuser einsam oder am Ende des Ortes lagen, Wächter, um nachts ihren Besitz zu schützen. Als Rabbi Naftali eines späten Abends am Rande des Waldes spazieren ging, begegnete er einem der Wächter: "Für wen gehst du?" fragte ihn der Rabbi.
Der Wächter nannte den Namen seines Auftraggebers, fügte aber die Gegenfrage hinzu: "Und für wen geht Ihr, Rabbi?" Das Wort traf den Gelehrten wie ein Pfeil. "Noch gehe ich für niemanden!", stammelte er. Lange schritt er schweigend neben dem Wächter einher.
"Willst du mein Diener werden?", fragte er endlich.
"Das will ich gern", antwortete jener, "doch was habe ich zu tun?"
"Mich zu erinnern", sagte der Rabbi.
(Nach einer Erzählung von Martin Buber aus den „Chassidische Geschichten")

Hildegard Ziemons
Mitglied der Pfarrbriefredaktion und bei Maria 2.0
Mail: pgr@dormagennord.de

1. Lesung: Jes 49,3.5-6

Der HERR sagte zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, an dem ich meine Herrlichkeit zeigen will. Ich aber sagte: Vergeblich habe ich mich bemüht, habe meine Kraft für Nichtiges und Windhauch vertan. Aber mein Recht liegt beim HERRN und mein Lohn bei meinem Gott.
Jetzt aber hat der HERR gesprochen, der mich schon im Mutterleib zu seinem Knecht geformt hat, damit ich Jakob zu ihm heimführe und Israel bei ihm versammelt werde. So wurde ich in den Augen des HERRN geehrt und mein Gott war meine Stärke.
Und er sagte: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht der Nationen; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht.

2. Lesung: 1 Kor 1,1-3

Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korínth.

Paulus, durch Gottes Willen berufener Apostel Christi Jesu, und der Bruder Sósthenes an die Kirche Gottes, die in Korínth ist – die Geheiligten in Christus Jesus, die berufenen Heiligen –, mit allen, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus überall anru-fen, bei ihnen und bei uns.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Evangelium: Joh 1,29-34

Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes

In jener Zeit sah Johannes der Täufer Jesus auf sich zukommen und sagte:
Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!
Er ist es, von dem ich gesagt habe:
Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war.
Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser,
damit er Israel offenbart wird.
Und Johannes bezeugte: Ich sah, dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft.
Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist der Sohn Gottes.

Gedanken zum Evangelium

Für wen gehst du?

Eine der schönsten Geschichten, die der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber gesammelt hat, erzählt eine denkwürdige Begegnung des Rabbi Naftali aus Ropschitz.
In dieser Stadt beauftragten die Reichen, deren Häuser einsam oder am Ende des Ortes lagen, Wächter, um nachts ihren Besitz zu schützen. Als Rabbi Naftali eines späten Abends am Rande des Waldes spazieren ging, begegnete er einem der Wächter: "Für wen gehst du?" fragte ihn der Rabbi. Der Wächter nannte den Namen seines Auftraggebers, fügte aber die Gegenfrage hinzu: "Und für wen geht Ihr, Rabbi?" Das Wort traf den Gelehrten wie ein Pfeil. "Noch gehe ich für niemanden!", stammelte er. Lange schritt er schweigend neben dem Wächter einher. "Willst du mein Diener werden?", fragte er endlich.
"Das will ich gern", antwortete jener, "doch was habe ich zu tun?"
"Mich zu erinnern", sagte der Rabbi.

Die Geschichte erzählt, dass der Rabbi von dieser Frage bis ins Herz getroffen ist.
Diese Frage, vom Wächter so leicht dahingesagt, wird plötzlich zu einer persönlichen Gewissensfrage, zur Existenzfrage, zu einer Frage, die aufs Ganze geht.
Und dies bei einem, der ganz gewiss nicht oberflächlich lebt.
Der Rabbi hat vielleicht schon jahrelang intensiven Umgang mit der Tora.
Er studiert und meditiert jeden Tag intensiv das Gesetz des Herrn.
Er kennt die Weisungen Gottes.
Er spricht jeden Tag seine Gebete.
Und doch gesteht er: „Noch gehe ich für niemanden!"

Für wen gehe ich in meinem Leben?
Weiß ich es?
Gehe ich nicht oft für mich selbst?
Gehe ich für eine Sache, eine Institution, eine Einrichtung?
Gehe ich für andere?
Vielleicht habe ich schon jahrelang Umgang mit dem Wort Gottes,
verrichte täglich bestimmte Gebete, empfange Sonntag für Sonntag
die hl. Kommunion, gehe mehr oder weniger regelmäßig beichten,
mache vielleicht sogar Jahr für Jahr Besinnungstage oder Exerzitien mit.
Und trotzdem: Ist sie nicht berechtigt, diese Frage?
Und ist es nicht notwendig und gut, sich davon treffen zu lassen
und ihr nachzusinnen?
Wem fühle ich mich verbunden, verpflichtet?
Für wen habe ich mich entschieden?
Für wen setze ich Zeit, Kraft, Ideen, Fleiß und Mühe ein?
Können andere an mir sehen, dass ich für Gott gehe?
Dass mein ganzes Handeln und Denken, Leben und Leiden für Gott „steht und geht"?
Können andere Menschen das an mir wahrnehmen?
Merkt man mir das an?
Es gibt keinen Menschen, für den sich diese Frage so eindeutig beantworten lässt wie für Johannes den Täufer.

„Kehrt um!" ist seine Botschaft, „denn das Himmelreich ist nahe."
Das Äußere des Täufers, seine herbe Strenge, seine mitreißende Predigt und sein vo-rausschauender Blick verfehlen ihre Wirkung nicht. Sein Auftreten macht Eindruck. Die Leute von Jerusalem und ganz Judäa ziehen zu ihm hinaus. Sie bekennen ihre Sünden und empfangen von ihm die Taufe der Umkehr.
Johannes sieht ganz klar seine Rolle, seinen Auftrag. Er versteht sich als Vorläufer des Messias, als Wegbereiter. Ganz eindeutig weist er hin auf den anderen, der größer ist als er. Und eine innere Stimme, Gottes Geist, lässt ihn sagen:
Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

Es ist keine Frage, für wen dieser Prophet geht. Er geht für Jesus Christus.
In jeder Messfeier wiederholen wir genau diesen Ruf, den ganzen Satz sogar, den wir von Johannes hören: Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.

Aber was ist eigentlich „das Lamm Gottes"?
Für die Menschen damals waren Lämmer Opfertiere, das heißt sie mussten sterben, damit die leben können, für die sie geopfert wurden. Der Tod des unschuldigen Lam-mes reinigte den Menschen von seiner Schuld.
Nun verkündet Johannes einen Perspektivwechsel, indem er Jesus als das Lamm be-zeichnet, das unsere Sünden hinwegnimmt, unsere Schuld trägt.

Und „die Sünde der Welt"?
Kann „die Welt" sündigen?
Oder sind es nicht die einzelnen Menschen?
„Welt" erscheint bei Johannes als eine Ansammlung von Menschen, die mit ihrer Ohnmacht und ihrem Begrenzt-Sein nicht umgehen kann und die das Handeln Gottes nicht erkennt. Und da sind wir mit einbezogen, mit gemeint, denn wer von uns kann heute genau sagen, wo Gott am Werk ist, was sich in seinem Sinn entwickelt?
Auch die katholische Kirche ringt – seit vielen Jahren – darum: Was ist Gottes Wille? Wodurch möchte Er handeln, sich ausdrücken?
Die Themenschwerpunkte im synodalen Weg sind ein Ausdruck dieses Ringens, wenn es um priesterliche Lebensformen, die Rolle der Frau, um die Sexualmoral und um die Frage von Macht geht.
Und doch spüren wir deutlich, wo es langgehen muss.
Für wen oder für was wir gehen müssen.
Die Sternsinger, die an diesem Wochenende in Dormagen unterwegs sind, machen es vor: sie gehen für die Kinder in der Welt, denen es nicht so gut geht wie uns. - Auch wenn der Missbrauchsskandal um Prälat Winfried Pilz, den Gründer der Sternsinger-aktion, uns verstört - die Kinder gehen unbeirrt ihren Weg.
Kriegsgegner gehen für Frieden und Versöhnung.
Klimaschützer gehen für unsere Zukunft.
Die Rom-Pilgergruppe geht für Gleichberechtigung, Solidarität und Erneuerung.
Die Frauen im Iran gehen für Frauenrechte, Freiheit und Leben...

Als der Wächter den Rabbi fragt: „Was habe ich in deinem Dienst zu tun?" – da antwor-tet jener: „Mich zu erinnern!" Er weiß, dass er jemanden braucht, der ihn erinnert, für wen und für was er in seinem Leben gehen soll.
Auch wir brauchen immer wieder diese Erinnerung. Zu leicht vergessen wir im Trubel und Lärm der Zeit, für wen wir gehen, was wirklich wichtig ist, was unserem Leben Sinn und Ziel gibt und es wirklich reich und echt froh macht.
Johannes der Täufer erinnert und fragt uns, für wen wir gehen.
Er mahnt uns, nicht gottvergessen zu leben,
sondern mit Gott zu rechnen und ihn in unser Leben zu lassen.

Fürbitten

Johannes der Täufer erinnert uns und fragt uns,
für wen oder für was wir uns einsetzen wollen.
Lassen wir uns ermutigen, darüber nachzudenken:

1. Wir beten für alle Menschen in Politik und Gesellschaft, die sich verantwortungsvoll für die Menschen, die ihnen anvertraut sind, einsetzen.
Kurze Stille – Jesus, du Lamm Gottes: Sei ihnen nahe!

2. Wir beten für alle Priester und Bischöfe, die sich bemühen, gute Hirten zu sein.
Wir beten für die, die nicht aus der Kirche austreten, sondern mit Mut und neuen Ideen ihren Glauben weiterhin überzeugend leben.
Kurze Stille – Jesus, du Lamm Gottes: Sei ihnen nahe!

3. Wir beten für alle Menschen, die unsere Unterstützung dringend brauchen:
für die Kriegsopfer, die Hungernden und Obdachlosen,
für die, die keine Rechte haben und für die, die gefoltert oder missbraucht werden.
Kurze Stille – Jesus, du Lamm Gottes: Sei ihnen nahe!

4. Wir beten für die Sternsinger in unseren Gemeinden,
die sich für Kinder in anderen Ländern einsetzen und für alle,
die durch Spenden oder aktive Hilfe den Bedürftigen auf unserer Erde helfen.
Kurze Stille – Jesus, du Lamm Gottes: Sei ihnen nahe!

Barmherziger Gott, wie Rabbi Naftali wollen wir uns immer wieder fragen,
wofür wir stehen und für wen wir gehen.
Dir dürfen wir vertrauen, dass du unsere Bitten hörst
und auch das Unausgesprochene annimmst.
Wir loben dich und danken dir. Amen.

13.01.2023

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