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171. Gemeindebrief zum 30. Sonntag im Jahreskreis am 28.10./ 29.10.2023

Einführung

Wahrscheinlich ist die größte Herausforderung der nächsten Jahrzehnte in Welt und Kirche, die entstandenen Spaltungen sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch innerhalb kirchlicher Positionen in eine gegenseitige Verbindung zu bringen.

An Themen wie beispielsweise der Migration scheiden sich nicht nur die unterschiedlichen Positionen, sondern sie werden auch hoch emotional bis hasserfüllt verhandelt. Aber auch innerhalb der Kirche stehen sich konservative und veränderungsbereite Positionen scheinbar unüberwindlich gegenüber. Gegenseitige Schuldvorwürfe werden ebenfalls in emotionaler und sich absprechender Rechtgläubigkeit betrieben. Es ist und wird eine große Bedeutung haben, ob es gelingt, Brücken zwischen traditionellen und weltlichen Orientierungen zu bauen.

Klaus Koltermann, Pfarrer

Telefon: 02133 91591
Mail: pastor.koltermann@dormagen-nord.de

Erste Lesung Ex 22, 20–26 - Wenn ihr Witwen und Waisen ausnützt, so wird mein Zorn gegen euch entbrennen

Lesung aus dem Buch Éxodus.

So spricht der Herr:

Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten,
denn ihr selbst seid im Land Ägypten Fremde gewesen.
Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen.
Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören.
Mein Zorn wird entbrennen und ich werde euch mit dem Schwert umbringen,
sodass eure Frauen zu Witwen und eure Söhne zu Waisen werden.
Leihst du einem aus meinem Volk, einem Armen, der neben dir wohnt, Geld,
dann sollst du dich gegen ihn nicht wie ein Gläubiger benehmen.
Ihr sollt von ihm keinen Zins fordern.
Nimmst du von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand,
dann sollst du ihn bis Sonnenuntergang zurückgeben;
denn es ist seine einzige Decke, der Mantel, mit dem er seinen bloßen Leib bedeckt.
Worin soll er sonst schlafen?
Wenn er zu mir schreit, höre ich es, denn ich habe Mitleid.

Zweite Lesung 1 Thess 1, 5c–10 - Ihr habt euch von den Götzen zu Gott bekehrt, um dem wahren Gott zu dienen und seinen Sohn zu erwarten

Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus
an die Gemeinde in Thessalónich.

Schwestern und Brüder!

Ihr wisst, wie wir bei euch aufgetreten sind, um euch zu gewinnen.
Und ihr seid unserem Beispiel gefolgt und dem des Herrn;
ihr habt das Wort trotz großer Bedrängnis mit der Freude aufgenommen, die der Heilige Geist gibt. So wurdet ihr ein Vorbild für alle Glaubenden in Mazedónien und in Acháia.
Von euch aus ist das Wort des Herrn aber nicht nur nach Mazedónien und Acháia gedrungen, sondern überall ist euer Glaube an Gott bekannt geworden, sodass wir darüber nichts zu sagen brauchen.
Denn man erzählt sich überall, welche Aufnahme wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn vom Himmel her zu erwarten, Jesus, den er von den Toten auferweckt hat und der uns dem kommenden Zorn entreißt.

Evangelium Mt 22, 34–40 - Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben; deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst

Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus.

In jener Zeit, als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie am selben Ort zusammen. Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn versuchen und fragte ihn: Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?
Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Gedanken

Wenn es spürbar warm wird, fällt es mir zunehmend auf:

Immer mehr Menschen lassen sich tätowieren und tragen ein Tattoo unter der Haut. Hin und wieder lasse ich mir dann ein Tattoo von den Personen erklären. Für mich ist es spannend die Entscheidungsgründe zu erfahren. Es sind oft einschlägige Momente, in denen es um das Leben als Ganzes geht, die Menschen veranlassen, sich ein Tattoo stechen zu lassen. Die Motive bilden etwas ab, was Bedeutung hat. Was ihnen wichtig ist, wollen sie nicht verlieren und nicht vergessen. Sie wollen es auf ewig unter der Haut tragen: eine Weisheit, einen Menschen, eine Haltung.

Haben auch Sie einen Spruch, eine Weisheit, ein Bild, den/die/das Sie in Ihr Stammbuch schreiben oder gar tätowieren lassen würden? Was ist Ihnen wichtig?

Vielleicht könnte dies Ihr persönlicher Spruch sein - der franziskanische Gruß: pace e bene - Friede und alles Gute. Gerade in den momentan an vielen Orten friedlosen Zeiten, geprägt von Hass und Intoleranzen, könnte der Gruß nochmals eine ganz besondere Relevanz und Bedeutung bekommen.

Aber, wenn das persönlich Wichtige jedoch exklusiv und in seiner Absolutheit noch emotional kombiniert wird, dann kippt das Bedeutsame in Fanatismus. So faszinierend es zunächst wirkt, wenn jemand alles auf eine Kappe setzt, so beängstigend und bedrohlich wird es, wenn es daneben nichts anderes mehr gibt. Menschen werden dann schnell radikal oder fundamentalistisch im Fußball, in der Religion oder im persönlichen Einsatz. Eine solche Einseitigkeit macht mir persönlich Angst, weil es keinen Platz mehr für anderes gibt, kein Raum für andere Sichtweisen gegeben wird. Die Wirklichkeit wird nur in Gegensätzen wahrgenommen: entweder gut oder schlecht, entweder schwarz oder weiß, entweder oder ... Die Welt ist aber meist komplexer als schwarz oder weiß. Manchmal ist eine Mischung aus dem einen und anderen gefordert und manchmal erfordert die Situation ein Abweichen von radikalen Prinzipien. Es braucht eine Verbindung, eine Brücke zwischen den Gegensätzen schwarz und weiß, zwischen Religion und Säkularität, zwischen Kirche und Welt.

Jesus baut im Evangelium eine Brücke zwischen sich scheinbar ausschließenden Gegensätzen, zwischen Gott und Mensch, zwischen Mensch und Mensch. Zunächst wird Jesus auch gefragt, was ihm das Wichtigste ist. Auf diese Frage antwortet er jedoch in einer verbindenden Weise: Er setzt bei der Glaubenstradition, beim Glaubensbekenntnis der Juden an, dem „Höre Israel“. Ausgehend davon schafft er eine Verbindung, eine Brücke zur Nächsten- und Selbstliebe. Gottes- und Menschenliebe stehen somit gleichberechtigt nebeneinander - sie sind nicht gleich, aber gleichwertig und gleich wichtig.

Jesus führt mit der Brücke zwischen Gottes- und Menschenliebe aus der Enge der Frage heraus, aus dem Entweder-oder. Er stellt sich auf den Boden der Tradition und blickt von dort aus auf den Menschen. Es gelingt ihm so, beides miteinander zu verknüpfen, ohne dieses eine oder das andere aufzulösen. Mit dieser Brücke kann er verdeutlichen: Wenn mir Gott im Menschen begegnet, dann kann ich Gott nicht ohne den Menschen lieben. Und wenn sich in jedem Menschen die Großartigkeit Gottes zeigt, dann führt die Menschenliebe immer auch zur Gottesliebe.

Gerade bei den wichtigen Dingen des Lebens gibt es meist eine Kehrseite der Medaille, die hilft, nicht einseitig oder fanatisch zu werden. Ich lebe beispielsweise von einem guten Freundeskreis, brauche aber auch Zeit für mich allein – auch als Priester. Ich sitze am Schreibtisch in meinem Büro, brauche aber auch Bewegung und Abwechslung. Ich vertraue auf Gott, habe aber auch selbst Verantwortung für mein Leben. Diese Reihe könnte ich fortsetzen. Sie zeigt, dass es oft diese Spannungsverhältnisse gibt, die nicht aufgelöst werden dürfen. Die Kunst liegt darin, das eine mit dem anderen zu verbinden - Brücken zu bauen.

Denn die Angst ist oft groß, dieses eine zu verlieren, wenn ich mich auch auf das andere einlasse. Manche befürchten, ihren Glauben zu verlieren, wenn sie sich auf die Welt und ihre Fragen einlassen oder gar in den Dialog mit anderen Religionen treten. Es braucht Brücken und sie müssen liebevoll sein. Dazu ist es gut, zu wissen, was mein Boden ist, auf dem ich stehe, wo vielleicht auch mein Ausgangspunkt ist, von dem aus ich denke und von dem aus ich handle. Es ist dann eine Brücke, die Verbindung schafft aus der Motivation der Liebe, nicht um den anderen zu gewinnen oder über ihn zu verfügen, sondern mit ihm in Verbindung zu treten: Verbindung zwischen mir und Gott, Verbindung zwischen mir und Menschen, Verbindung zwischen meinem Hobby und meinem Beruf.

So einmal betrachtet, bekommen auch die Tattoos für mich eine neue Sichtweise: Sie schaffen auch Verbindung. Sie scheinen eine Erinnerungs-Brücke zwischen etwas Wichtigem und der Gegenwart zu sein. Sie erinnern in der Gegenwart an etwas Wichtiges aus der Vergangenheit.

Damit Gegensätze in einen gegenseitigen Bezug kommen, können also Zeichen hilfreich sein, die eine Verbindung ermöglichen zwischen Altem und Neuem, zwischen Fremdem und Vertrautem. Manchmal ist es ein gemeinsames Gebet, vielleicht auch ein gemeinsames Essen oder ein gemeinsamer Spaziergang. Ob aus dieser gemeinsamen Erfahrung ein Tattoo entsteht, bleibt eine persönliche Entscheidung. Es könnte jedenfalls ein liebevolles Verbindungszeichen sein.

Pastor Klaus Koltermann

Fürbitten

Die Liebe zu den Nächsten bewegt uns,
für sie und besonders für Menschen in Not bei Gott einzutreten.
Wir rufen zu ihm:

  1. Für die besonders verletzlichen Menschen in unserer Gesellschaft, die oft kein Gehör finden: für Alleinerziehende und ihre Kinder, für alte Menschen, für Menschen mit Beeinträchtigungen, für alle Kranken, für Menschen auf der Flucht; und für alle, die sich in Politik und Gesellschaft für Benachteiligte einsetzen.
    (Kurze Stille) Herr, höre auf unser Rufen. / A: Herr, höre auf unser Rufen.

  2. Für die vielen Menschen, die Opfer der Gewalt im Heiligen Land und im ganzen Nahen Osten geworden sind und werden; für alle, die dort und weltweit in Sorge sind um nahestehende Menschen; für alle, die in Verhandlungen und Gesprächen versuchen, die Geiseln im Gaza-Streifen zu befreien; für alle, die in Hilfsorganisationen oder privat helfen, das Leid der Menschen zu lindern; für die vielen, die Auswege suchen aus dem Kreislauf der Gewalt.
    (Kurze Stille) V: Herr, höre auf unser Rufen. / A: Herr, höre auf unser Rufen.

  3. Für die Menschen in der Ukraine, die noch immer unter Krieg und Gewalt und Zerstörung leiden; für die Geflüchteten, die fern von ihren Liebsten und in Sorge um sie leben müssen; für die Vielen in aller Welt, die die Flüchtlinge unterstützen; für die Verantwortlichen in der Politik, die sich um ein gerechtes Ende des Krieges bemühen.
    (Kurze Stille) V: Herr, höre auf unser Rufen. / A: Herr, höre auf unser Rufen.

  4. Für die Menschen, die bei dem Amoklauf im US-Bundesstaat Maine getötet oder verletzt wurden ; für alle, die um einen geliebten Menschen trauern oder in Sorge sind; für die Menschen in Schulen und Sendern und anderswo, die hier bei uns Bombendrohungen und andere bekommen; für die Frauen und Männer, die rund um die Uhr für unser aller Sicherheit arbeiten.
    (Kurze Stille) V: Herr, höre auf unser Rufen. / A: Herr, höre auf unser Rufen.

  5. Für alle, die sich bei der Weltsynode in Rom sich bemühen, die Zeichen der Zeit zu erkennen; für den Papst, der die Kirche in eine synodalere Zukunft führt; für alle Gläubigen, die sich in den verschiedenen Räten und Gruppen für eine zukunftsfähige Kirche einsetzen.
    (Kurze Stille) V: Herr, höre auf unser Rufen. / A: Herr, höre auf unser Rufen.

Gott, unser Herr, du hörst das Schreien der Menschen in Not
und hast Mitleid mit ihnen.

Wir danken dir für deine Liebe und Treue und loben dich jetzt und allezeit. Amen

Quelle: Bistum Trier

27.10.2023

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